Ein Modell bilden
Wenn Sie
ein Anliegen aufstellen, bilden Sie ein Modell. Sie machen nach außen hin
sichtbar, was sich derzeit in Ihrem Inneren abspielt. Dazu bedienen Sie sich
der Hilfe von Gruppenteilnehmern (in der Regel fremde Personen), die sich Ihnen
freiwillig als Repräsentanten zur Verfügung stellen.
Was passiert dabei konkret?
Sie nehmen die
ausgewählten Personen einzeln nacheinander in einer gefassten und
konzentrierten Stimmung bei den Schultern oder Armen und stellen sie jeweils an
den Punkt im Raum, wo sie Ihrer inneren Vorstellung nach hingehören
(Beispiel: Ihren eigenen Stellvertreter in die Mitte, den Repräsentanten Ihres
Chefs an dessen Seite, den Repräsentanten für Ihre Mitarbeiter mit etwas
Abstand nach links, den Repräsentanten für Ihre Kunden gegenüber und weiter
weg...)
Bereits dieser Vorgang ist in der Regel sehr hilfreich, weil erhellend und
aufschlussreich. Ermöglicht Ihnen das aufgestellte, dreidimensionale Bild doch
mehrere neue Blickwinkel.
Sie können es mit Abstand aus einer Beobachterposition neu anschauen und auf
sich wirken lassen. Dabei distanzieren Sie sich ein Stück davon und sind nicht
mehr so stark damit identifiziert. Nicht mehr das Anliegen - was auch immer es
sein mag - hat Sie, sondern Sie haben jetzt das Anliegen - zumindest klar im
Blick.
"Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der
Blickrichtung"
Antoine de Saint-Exupéry
Wie die
Repräsentanten zueinander stehen, ist dabei körpersprachlich unmittelbar
verständlich. Es ist erlebbar, was „nahe beieinander" heißt,
nicht nur, wenn es sich um Personen handelt, die „sich nahe stehen",
sondern auch wenn es sich um Abstraktes handelt wie Werte, Hindernisse, Ziele,
Erfolg etc.
Woran liegt das?
Wir verstehen unmittelbar, was es bedeutet, wenn etwas „hinter uns ist"
oder „im Rücken", sei es unterstützend, vergangen oder bedrohlich. Es ist
offen-sichtlich, was es heißt, etwas „im Blick" zu haben oder etwas „nicht
zu sehen".
Es wird unmittelbar ein-sichtig, worauf sich „die Aufmerksamkeit richtet"
und was „nicht wahrgenommen" wird. Es ist schnell erkennbar, wer wen oder
was „ansieht" oder „übersieht" oder sich davon „abwendet"
...
Es wird auch erfahrbar, wen es zu wem „hinzieht", wer wem zu nahe „auf den
Pelz gerückt" ist oder wer von wem „weg will" und vieles mehr.
Für einige Zeit gibt es jetzt für Sie nichts zu tun - außer aufmerksam Acht zu geben
auf die Aussagen der von Ihnen aufgestellten Repräsentanten und die Wirkungen
der folgenden Veränderungen. Alles Weitere dürfen Sie der Kompetenz des Leiters
und der „Weisheit des aufgestellten Systems" überlassen. Die aufgestellten
Personen empfangen "als Organe des aufgestellten Systems" mit ihren
Körpern unmittelbar die Wirkungen der Beziehungen und aller Veränderungen
untereinander.
Der Umstellungs-Prozess
Wenn die
Repräsentanten umgestellt werden und damit die Prozessarbeit beginnt, wird das
Modell beweglich. Es wird ummodelliert. Dabei beginnt etwas Ähnliches wie ein
Planspiel oder eine Simulation. Jetzt können spezielle Situations-Veränderungen
mit ihren Auswirkungen vergegenwärtigt werden. Handlungsalternativen lassen
sich testen, indem die Wirkungen auf die anderen Repräsentanten untersucht
werden.
Auf symbolische Weise kann zur Probe gehandelt werden. Dabei kommt es
entscheidend auf die Rückmeldungen aller an, die zu dieser Aufstellung gehören.
Mit ihrer Hilfe wird erkennbar und entscheidet sich, ob das „Problem"
behalten, eventuell sogar verschärft wird, oder ob es sich in Richtung einer
Lösung bewegt, bei der es allen besser geht.
Eine solche Modellbildung erweist sich als Gruppensimulationsverfahren.
Es zeigt
- die Struktur eines Anliegens
- das innewohnende Verhalten
- die Änderungsdynamik und
- die vorhandenen Modifikationsmöglichkeiten.
Innere Achtsamkeit
Obwohl sich Bezeichnungen wie
Planspiel, Modellbildung oder Simulation mehr spielerisch oder technisch
anhören, hat das Aufstellungsverfahren eher eine große Verwandtschaft mit
Körperbewusstsein und innerer Achtsamkeit.
Die Repräsentanten sind eingeladen, nur Unterschiede wahrzunehmen und zu
benennen. Sie sollen nichts ausdenken, nichts spielen, nichts leisten! Sie
brauchen nur zu spüren:
Welchen Unterschied in ihrem Körpererleben nehmen sie wahr, wenn sie gewählt
und gestellt werden? Welche Veränderungen nehmen sie wahr, wenn andere
Repräsentanten dazu kommen, umgestellt werden oder ihr Empfinden mitteilen?
Diese Unterschiede sind in einer bewusst aufmerksamen, achtsamen, eher
meditativen Haltung am leichtesten zu erfassen. Denn Meditation trainiert die
Fähigkeit, zu unterscheiden zwischen mir und dem, was durch mich hindurchgeht.
Viele Repräsentanten gehen sehr leicht und fast selbstverständlich in diese
Haltung der inneren Sammlung, Achtsamkeit und Anteilnahme, des Spürens, welche
Unterschiede auftreten. Es ist sehr auffallend, wie extrem selten
Repräsentanten zum Beispiel den Aufstellungsleiter wahrnehmen.
Oft entsteht eine besonders achtsame Sammlung in der Gruppe. Die Anwesenden
erleben Momente schweigender Intensität, nonverbaler Dynamik und Phasen
respektvoller Anteilnahme, in denen Wesentliches geschieht und Gefühle intensiv
wahrgenommen werden.
"Traum"-Erleben
Von außen betrachtet werden viele
Repräsentanten manchmal wie in einer Art leichter Trance erlebt. Auch, wenn die
Aufstellung wieder vorbei ist und die Repräsentanten sich "entrollt",
(d. h. von den körperlichen Wahrnehmungen des Systems gelöst) haben, empfinden
sie ihr Erleben in der Aufstellung fast wie das Erleben in einem Traum oder
einem "fremden Film". Sie haben an Prozessen in symbolischer
Wirklichkeit teilgenommen. Die Erinnerung an dieses Geschehen ist ähnlich wie
die Erinnerung an einen Traum oder an eine Fantasiereise.
Dabei haben sie natürlich während der Aufstellung nie vergessen, wer sie
außerhalb der Aufstellung waren, sind und bleiben. Sie bleiben sich ihrer
eigenen Körperwahrnehmung und Gedanken bewusst und erhalten zusätzlich die
Gefühle, Sinneseindrücke und Reaktionen, die nur im Zusammenhang mit dieser
Aufstellung einen Sinn ergeben.
Kurz gesagt: sie „träumen" in der Aufstellung und gleichzeitig wissen sie
in jedem Moment, dass sie "träumen". Sie kommen in Resonanz mit etwas
außerhalb ihres eigenen Systems, das sie intensiv wahrnehmen, und sind sich
dessen bewusst. Ein solches Erleben lässt sich vergleichen mit luzidem Träumen.
Aufstellungen scheinen eine gewisse Ähnlichkeit zu Konzepten wie Traumzeit und
Klartraum zu haben: Kurze zeitliche Phasen, in denen sich der Repräsentant
ständig bewusst ist, dass er über Resonanz feinfühlig mit etwas anderem
mitschwingt und fremde Bewusstseinszustände wahrnimmt.
Es ist den Repräsentanten klar: das bin nicht ich! Diese Wahrnehmung gehört
nicht zu mir – es hat nur unmittelbar mit dem Kontext zu tun, in dem ich
momentan für jemanden oder etwas anderes stehe. Ich habe mich nur zur Verfügung
gestellt. Ich erbringe eine Dienstleistung für das Anliegen eines anderen
Menschen und mein Körper dient mir dabei als Instrument zum Reinspüren, was
hilfreich und was eher hinderlich ist.
In einer Aufstellung wird das innere Bild vom Anliegen des Aufstellenden nach
außen, hier in den Raum gebracht, so dass es für andere Menschen sichtbar und
erlebbar ist. Der Klient lässt für sich agieren - und kann dabei von allen
Seiten zuschauen und viel daraus lernen.
Wer sind hier die "Träumenden", die sensiblen Empfänger der
Botschaften eines anderen, räumlich entfernten Systems? Gehören alle Repräsentanten
mit dazu inklusive dem Leiter, und tragen vielleicht auch die Zuschauer und der
Gastgeber mit ihrer aufmerksamen Anteilnahme zur Verstärkung der resonanten
Energien bei? Befindet sich das ganze System im Wachtraum? Dieser besondere
Zustand wird bewusst begonnen, bewusst erlebt und bewusst beendet. Ist diese
besondere Vorgehensweise ein induzierter und externalisierter
Gruppen-Klartraum?
Sprache des Körperempfindens
Auch ein eher rationaler Vergleich
bietet sich an: Aufstellungen sind eine besondere symbolische Sprache. Sprachen
sind natürlich immer symbolisch. Eine bestimmte Bezeichnung, in verbalen
Sprachen beispeilsweise ein Wort, wird für etwas Bezeichnetes, ein Ding oder
einen Vorgang gesetzt. Wenn Sie eine Sprache lernen, so lernen Sie den
Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem.
Neben der gesprochenen Sprache kennen wir auch die Körpersprache. Mit ihr sind
wir der Aufstellungssprache sehr nahe, denn das Körpererleben der
Repräsentanten liefert die wichtigsten Signale des Aufstellungsbildes und der
darin enthaltenen Dynamik.
Eigentlich ist diese Sprache eine überraschend wieder entdeckte Sprache, die
schon jeder kennt. Das erklärt, weshalb man keinerlei Vorkenntnisse benötigt,
um als Repräsentant stehen zu können.
Es erklärt auch die Mächtigkeit der Erfahrung bei denen, die diese Sprache zum
ersten Mal bewusst erleben, ebenso wie bei denjenigen, die - obwohl sie schon
viele Hundert Aufstellungen erlebt haben - doch immer wieder neu beeindruckt
werden.
Die Elemente einer Aufstellung lassen sich gut mit sprachlichen Elementen
vergleichen:
Element der Aufstellung
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Sprachliches Element
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Repräsentant
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Name oder Nominalphrase
(z. B. „Derjenige, zu dem er schaut")
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Abstände und Winkel
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Prädikate und Relationen
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Befindlichkeiten der Repräsentanten
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Adjektive und Adverbien
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Bild
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Satz
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Anfangsbild
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Satz im Indikativ
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Folgebild
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Satz im Konjunktiv,
anfangs häufig im Konjunktiv irrealis
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Lösungsbild
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Beschreibung der teilweisen Verwirklichung
eines zukünftig möglichen Ereignisses
in der Gegenwart
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Folge der Aufstellungsbilder
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Erzählen einer Geschichte,
Bilden einer Hypothese,
Formen einer Ableitung
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Das Lösungsbild
Den Abschluss einer Aufstellung bildet
eine Szene, die der Lösung eines Anliegens mindestens ein oder zwei Schritte
näher ist als der Anfang der Aufstellung. Dieses Lösungsbild zeigt nicht etwa,
was sein wird. Es ist keine prophetische Vorhersage! Vielmehr zeigt es, was in
Bezug auf eine Lösung erforderlich und sinnvoll ist (was sein könnte oder
soll).
Das Lösungsbild einer Aufstellung - und
oft auch schon einzelne Prozess-schritte - zeigen Möglichkeiten auf. Sie
eröffnen uns sozusagen einen Blick aus einem neuen Fenster oder sie öffnen uns
eine neue Tür.
Durch den alternativen Blick aus dieser neuen Perspektive ändern sich oft
innere Einstellungen grundlegend. Dadurch werden auch Verhaltens-änderungen
möglich. Und dadurch begegnen wir unserer Mitwelt auf eine neue Art und Weise.
Wen wundert es da noch, dass unsere Mitmenschen uns auch anders begegnen und
sich unsere Lebensumstände und der Erfolg unseres Unternehmens dadurch oft zum
Positiven ändern?
Text
basiert auf Gedanken von Günter W. Remmert
Quelle:ras-Training.de